Freitag, 1. Juni 2012
Akt III
Er schleicht wieder aus deinem Zimmer. Dein Lächeln war gefroren, obwohl du es dir nicht eingestehen willst.
„Wir kennen uns nun schon seit drei Monaten!“, wiederholt sie leise. Was waren schon drei Monate? Ein viertel Jahr? Ein ganzes Leben, solange kannte sie ihn. War er je auf die Idee gekommen sie… ? Er hätte ja allen Grund dazu gehabt. Drei Monate und er will um ihre Hand anhalten. Ein ganzes Leben hätte er Zeit sie kennenzulernen, denn er war sich sicher sie war die Richtige und konnte es überhaupt besser für ihn kommen? Er würde sie bald fragen, ganz romantisch und er wüsste auch schon wie. Er würde um ihre Hand anhalten und fragt dich beiläufig, ob du es für eine gute Idee hältst. Du meinst, sie würden sich nicht lange genug kennen, aber ihm ist deine Meinung eigentlich egal. Du merkst, was du verloren hast. Der Schwarzhaarige hat sich auch nie wieder gemeldet. Schuft! , denkst du. Du bist schlecht drauf, sehr schlecht drauf. Du hast das Gefühl, dass dich jetzt eigentlich gar kein Typ mehr haben will und das frustriert dich.
Kurze Zeit später ruft dich deine Freundin an, erzählt dir, dass sie ein Zugticket in ihrer Tasche gefunden hat und glaubt, er habe es dort platziert. Sie bittet dich, mit ihr zu fahren, nach Mecklenburg Vorpommern.
Du stimmst zu, hast aber ein sehr schlechtes Gefühl dabei. Du hoffst, dass er keine Dummheit begeht, aber eigentlich weißt du ja, was er vorhat. Vielleicht ein Grund mehr mit zu fahren. Zusammen geht es in einen kleinen, idyllischen Ort in Mecklenburg vor Pommern. Sie schwärmt die ganze Zugfahrt über von ihrer großen Liebe und du hoffst gelangweilt, sie möge endlich den Mund halten. Du bemerkst, wie sehr ihr euch voneinander entfernt habt und kannst dich beinahe nicht mehr erinnern, wie es war, als ich noch richtig befreundet ward.
Als ihr am Bahnsteig ankommt, sucht sie vergeblich nach ihm. Er ist nicht da, um sie abzuholen. Sie ist am Boden zerstört und du hoffst, dass er vernünftig sei und am Ende doch noch kalte Füße bekommen hätte. Am Ende des Bahnsteigs wartet jedoch ein Taxifahrer, der ein großes, rosa Schild mit ihrem Namen in der Hand hält. Du ärgerst dich. Warum konnte dir das nicht passieren?
Ihr fahrt zusammen in ein kleines, süßes Hotel, dass von einer kleinen, alten Frau geleitet wird. Sie kennt bereits den Namen deiner Freundin und gibt ihr den Schlüssel zu einer kleinen Suite. Als sie aufschließt gerät sie ins Stocken: Überall auf dem Bett und dem Boden verstreut liegen rosa Rosenblätter. Auf dem kleinen Beistelltisch steht eine Flasche Champagner, an der ein rosa Brief hängt. Deine Freundin ist den Tränen nahe. „Ich habe so ein Glück!“, sagt sie, „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal solch ein Glück erfahren darf. Sieh doch nur, wie schön! Wie schön das alles ist! Oh und wie romantisch! Ich habe dir nie gedankt! Danke, dass du ihn damals mitgebracht hast! Ohne dich wäre mein Leben unvollkommen geblieben! Ich bin so glücklich! Danke, danke, danke!!“ Sie umarmt dich. Du erwiderst nur ein scheinheiliges Lächeln. Sie hatte Recht, du warst dafür verantwortlich, dass er nun diese Frau heiraten würde. Dafür würdest du dich wahrscheinlich ewig hassen und er dich irgendwann, wenn die erste Verliebtheit vorbei war, sicherlich auch. „Was steht eigentlich in dem Brief?“, fragst du möglichst beiläufig. „Oh mein Gott, denn hätte ich fast vergessen. Ich bin ja so aufgeregt. Kannst du ihn mir nicht vorlesen? Meine Augen sind jetzt schon so feucht! Bei ihm werde ich immer so sentimental.“ Damit hatte sie recht.
Widerwillig öffnest du vorsichtig den Brief. Was immer darin stand, es konnte nichts Gutes verheißen. Du beginnst zu lesen und versuchst deine Stimme möglichst sicher und gleichgültig klingen zu lassen, aber auch dich berührt der Inhalt des Briefes zu tiefst:

An meine Liebste,
mein Morgen- und mein Abendstern, mir fehlen die Worte um auszudrücken, was ich für dich empfinde. Erlaube mir an dieser Stelle deswegen die Verse eines anderen zu gebrauchen, um dir zu zeigen, was du mir bedeutest:

Wie jauchzt meine Seele
Und singet in sich!
Kaum, dass ich's verhehle
So glücklich bin ich.
„Rings Menschen sich drehen
Und sprechen gescheut,
Ich kann nichts verstehen,
So fröhlich zerstreut. -
Zu eng wird das Zimmer,
Wie glänzet das Feld,
Die Täler voll Schimmer,
Weit herrlich die Welt!
Gepresst bricht die Freude
Durch Riegel und Schloss,
Fort über die Heide!
Ach, hätt ich ein Ross! -
Und frag ich und sinn ich,
Wie so mir geschehn?: -
Mein Liebchen herzinnig,
Das soll ich heut sehn.“

„Oh mein Gott!“, rief sie aus und du zuckst erschreckt zusammen, „das ist Joseph von Eichendorff! Das ist mein Lieblingsdichter! Dass er sich daran erinnert!“
Sie konnte sich kaum noch halten und eine Träne kullerte ihr über die Wange. „Ich habe ihn gar nicht verdient!“
Das wusstest du auch schon.
Du klopfst ihr familiär auf die Schulter: „Natürlich hast du ihn verdient! Du bist doch klasse! Und er ist auch klasse! Ihr seid beide klasse! Ein klasse Pärchen!“ Du versuchst dies mit zwanghaftem Nicken zu unterstreichen, aber es gelingt dir nicht wirklich. Sie merkt aber eh nichts, denkst du.
„Meinst du wirklich?“, sie wischte sich die Tränen aus den Augen.
„Natürlich meine ich das so. Richtig klasse!“
„Was schreibt er noch?“
Du fährst fort, den Brief zu lesen und bist froh, dass du ihr nicht weiter bekunden musst, wie „klasse“ du das alles fändest.
„Triff mich heute Abend am Hafen, um acht wirst du abgeholt werden. Zieh dir etwas Schönes und lass dich von mir überraschen. Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen. Küsschen, dein Traumprinz“

Du schluckst. Er wollte es tatsächlich durchziehen.
„Was kann diese Überraschung bloß sein? Egal was es ist, es muss wundervoll sein, wenn es von ihm kommt. Alles was von ihm kommt ist wundervoll“ Sie umarmt dich ein weiteres Mal.
Auf einmal kam dir eine Idee: „Kennst du eigentlich seine Eltern schon?“
Sie schüttelt den Kopf.
„Oh nein“, sagst du und versuchst nicht zu lächeln, „dann stellt er dir heute bestimmt seine Eltern vor. Du Arme, die sind schrecklich, ganz grauenvoll. Wirklich schreckliche Personen! Deswegen auch der Aufwand, weil er fürchtet, dass du fort bist, wenn du sie kennenlernst. Gut, dass wir nun wissen, was er vorhat, der Schuft. Tu dir das bitte nicht an. Sie werden dich hassen! Sie hassen alle, die so aussehen wie du, so blond. Du musst gehen. Fahr wieder nach Hause und lerne sie niemals, niemals kennen. Das ist ein fieser Trick. Fahr einfach nach Hause, was Besseres kannst du nicht tun“
Deine Freundin schaut dich entsetzt an: „Seine Eltern? Deswegen der Aufwand?“ Sie stutzt einen Moment, „ Nein. Nein, ich werde heute Abend dort hingehen, ich könnte ihn nie enttäuschen. Wie schlimm können schon Eltern sein, die einen solchen Sohn haben. Ich könnte niemals schlecht von ihnen denken. Abgesehen davon lieben mich Eltern. Ich bin die perfekte Schwiegertochter.“
Schon jetzt weißt du, dass du sie nicht umstimmen wirst.
„Lass mich mitkommen!“, sagst du plötzlich. Er war dein Freund und du solltest das Beste für ihn wollen und nicht seine Pläne durchkreuzen, aber in diesem einem Fall, war es vielleicht das Beste, ihn davon abzuhalten in sein Unglück zu rennen.
Sie schüttelt den Kopf: „Nein, ich denke, dass muss ich alleine schaffen, aber danke. Ich weiß nicht was ich ohne dich machen würde!“

Nachdem du zwei Ewigkeiten mit ihr ein Kleid aussuchen musstest, geht sie schließlich zum Taxi.
„Wünsch mir Glück!“, sagt sie, sie war furchtbar nervös.
Du sitzt alleine im Rosenzimmer und starrst an die Wand. Das Gefühl, dass du ihn in sein Unglück rennen lässt, bringt dich beinahe um. Du liest dir noch zweimal seinen Brief durch: „Mein Liebchen herzinnig, das soll ich heut sehn.“
Du gehst runter zur Rezeption und sagst der alten Dame du seist besorgt um deinen Freund, du hättest einen Ring gefunden und glaubst, er hätte ihn vergessen. Ohne diesen könnte er seiner Freundin keinen Heiratsantrag machen, was fatal wäre.
Die Dame ist bestürzt, zumal die beiden so ein hübsches Paar seien und sucht sofort die Adresse am Hafen heraus, an der das Taxi sie herauslassen würden. Sie fragt, ob sie dir ebenfalls eines bestellen soll, aber du lehnst ab, weil du kein Geld ausgeben magst, schnappst dir stattdessen das Hausfahrrad und radelst wie eine Verrückte die 7 Kilometer hinunter zum Hafen.
Die Dame schaut dir voller Bewunderung hinterher.

Zur selben Zeit kommt deine Freundin am Hafen an, wo dein Freund sie bereits im Anzug erwarten. Sie küssen sich. „Bist du gespannt?“, fragt er.
Sie schaut ihm tief in die Augen, lächelt und sagt: „Egal was es ist, ich werde es lieben, weil ich dich liebe.“
Seine Augen trugen einen innigen Ausdruck: „Mach die Augen zu und vertrau mir!“
Sie fand das Procedere ein wenig übertrieben, nur um seine Eltern kennenzulernen. Waren sie so hässlich, dass sie sie nicht einmal sehen sollte? Egal was es war, sie durfte nicht schockiert sein, sie durfte sich auf keinen Fall erschrecken.
Sie fühlt seine warmen Hände auf ihrer Taille, wie sie sie den Steg entlang führen. Ihr Herz pocht lautstark.
„Augen auf!“
Sie steht vor einem kleinen Kutter, mit einem großen, grünen Segel. Überall standen kleine Kerzen und in der Mitte des Bootes stand ein kleiner Tisch, mit feinem Porzellan gedeckt.
„Gefällt es dir?“
Sie ist einen Moment sprachlos.
„Das ist wunderschön. Aber wo sind deine Eltern?“
„Meine Eltern?“, er ist verwirrt, „warum sollten meine Eltern kommen?“
„Weil… ach, ist ja auch egal!“
Er hebt(!) sie vorsichtig an Bord und serviert den ersten Gang, den er selbst zubereitet hatte.

Du hast dich währenddessen verfahren und da es in Mecklenburg- Vorpommern reichlich wenig Schilder gibt, weil es reichlich wenig gibt, was man hätte ausschildern können, hast du keine Ahnung, wo du dich befindest. Glücklicherweise fährt ein Traktor mit Anhänger vorbei, der dich bereitwillig ein Stück zum Hafen mitnimmt. Du bist fertig und deine Beine tun dir weh, vor allem aber wünschst du, dass er nicht wieder übereilt handelt, wie er es so gerne tat und sich mit dem Antrag Zeit ließe.
Hoffentlich wärst du nicht zu spät. Anderseits weißt du auch noch nicht, was du tun sollst, wenn du da bist. Wärst du nach Mondaufgang nicht da, wäre es sowieso besiegelt.

Es war ein wunderbares Essen und die Sonne beginnt langsam unter zugehen. Er geht kurz hinein, legt ein wenig ruhige Musik auf und fordert sie zum Tanz auf. Sie kann sich nichts Schöneres vorstellen, der Abend war mehr als perfekt und sie war so verliebt. Er hingegen freute sich, dass alles nach Plan verlief und langsam mischt in seine Freude ein wenig Aufregung, bald wäre es soweit. Er weiß, dass es riskant ist, sie zu fragen, schließlich waren sie tatsächlich erst drei Monate zusammen, aber er war sich sicher. Sie war das erste Mädchen, bei dem er sich wieder verliebt fühlte, nachdem er so bitter enttäuscht worden war. Sie musste die Richtige sein und er hoffte, dass er auch der Richtige für sie war. Zusammen tanzen sie im Sonnenuntergang

Der Bauer ist sehr freundlich und fährt sogar einen kleinen Umweg, um dich beinahe am Hafen herauszulassen. Den Rest des Weges gehst du zu Fuß, da dein Fahrradsattel einfach unglaublich hart war. Du bist nass geschwitzt als du ankommst, deine Haare sind zerzaust und deine Schuhe sind schlammig. Du versuchst das Tor möglichst lautlos zu öffnen.

„Schau nur, was für eine sternenklare Nacht“, er führt sie an die Reling.
„Es ist wunderschön, der ganze Abend war atemberaubend!“, sagte sie und lehnt sich an seine Schulter.
Er küsst sie auf die Stirn, bevor er langsam auf die Knie niedersinkt: „Ich weiß, wir kennen uns erst drei Monate, aber dies waren die drei schönsten Monate meines Lebens. Wenn du nicht bei mir bist, fühle ich mich leer und schlecht und deswegen könnte ich mir nichts Schöneres vorstellen, als ewig mit dir zusammen zu sein. Du bist die Liebe meines Lebens und ich kann dich nicht mehr gehen lassen. Prinzessin, willst du mich heiraten?“
Er öffnet eine kleine, rote Schachtel mit einem kleinen Diamantring darin, für den er seine gesamten Ersparnisse ausgegeben hat.

Du siehst wie er vor ihr niederkniet. Aber was tun?
Du kannst dich nicht dazwischen stürzen, mit welcher Begründung? Stattdessen stehst du wie versteinert da und beobachtest, wie sie voller Begeisterung nickt: „Nichts täte ich lieber!“
Sie küssen sich. Ein plötzlicher Schmerz ergreift dich und dir wird heiß und kalt zugleich. Du hast dich niemals so schlecht gefühlt. Deine Augen werden feucht und du kannst die Tränen kaum zurückhalten.
Du rennst weg vom Steg, steigst auf dein Fahrrad und fährst in eine nahegelegene Kneipe.
Oh könntest du nur auch vom Leben davon rennen!

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