Freitag, 1. Juni 2012
Akt V
Akt V:

Als er den Brief findet, ist er am Boden zerstört. Er hätte nie gedacht, dass du es tatsächlich so ernst mit ihm meinst.
Seine Freundin findet ihn verzweifelt in seinem Zimmer. Es sind noch zwei Wochen bis zur Hochzeit.
„Was ist mit dir, Pooh-Bärchen?“, fragt sie besorgt und legt ihm liebevoll den Arm um seine Schultern, „du scheinst so niedergeschlagen und das so kurz vor unserer Hochzeit.“
Er antwortet nicht, deswegen fragt sie, ganz entgegen ihrer sonstigen Art, weiter.
„Ist es wegen unserer Freundin? Du hast mir gar nicht erzählt, wie euer Gespräch verlaufen ist. Wird sie nun deine Trauzeugin? Oder hat sie etwa abgelehnt?“
Natürlich hat er ihr die ganze Sache verschwiegen, denn er wollte nicht, dass sie sich in irgendeiner Weise Sorgen machte. Anderseits fühlt er, dass er nicht länger schweigen kann. Seine zittrigen Hände deuten auf einen handgeschriebenen Brief, der vor ihm auf dem Boden liegt.
Sie hebt ihn vorsichtig auf, sie sieht, dass er von dir ist.
„Mein liebster, treuer Freund,
du kennst die Gründe, warum ich nicht zu deiner Hochzeit kommen kann. Es liegt tatsächlich nur an mir, aber du musst mir glauben, dass alles, was ich dir erzählt habe, wahr ist und aus meinem tiefsten, innersten Herzen kommt. Ich kann deinen Standpunkt verstehen und will euch nicht im Wege stehen. Für mich ist es schwer nun einen neuen Sinn im Leben zu finden und sicherlich erkennst du nun, dass es mir unmöglich ist euch beide heiraten zu sehen. Ich weiß, dass ich, als deine beste Freundin, versagt habe. Ich weiß, dass es dir zusteht glücklich zu sein, wenngleich ich niemals daran teilhaben werden kann, was mir mein junges Herz zerbricht. Am Ende jedoch freue ich mich aufrichtig für euch beide und wünsche euch alles Glück der Welt.
Mein Leben soll für euch nun nicht mehr von Bedeutung sein, denn alles was ich tun könnte, wäre gegen eure Beziehung und würde euch schaden. Deswegen halte ich es für das Beste mich nicht mehr in eurer Nähe aufzuhalten.
Ich habe mich entschlossen bei einem gemeinnützigen Projekt mitzuhelfen, um vielleicht irgendwann wieder einen Sinn in meiner Existenz zu verspüren.
Ich setzte mich fortan für die Rechte vietnamesischer Sumpfkröten in Burkina Faso ein. Diese armen Kreaturen können weder Arabisch noch Französisch und schon gar keine seltsame Abwandlung wie Dioula oder Fulfulde sprechen und finden sich dort überhaupt nicht zurecht. Ich fühle, dass es meine Aufgabe ist, ihnen Liebe und Orientierung zu geben und hoffe, dass auch sie mir selbiges entgegenbringen.
Zuletzt möchte ich dir nur noch sagen: Ich werde dich niemals vergessen. Du warst und bist meine einzige Liebe. Auf ewig.“
Sie stutzt, dann springt sie vom Bett auf: „Sie liebt dich? Und du hast es nicht für nötig gehalten mir das mal zu sagen?! Wie oft habt ihr euch getroffen? Wie lange weißt du das schon? Argh.“
Er zieht die Augenbrauen hoch. Er hat gewusst, dass es so kommen würde, erführe sie dies.
„Seit ich bei ihr war. Ich wusste, dass, wenn ich es dir sage, du ausrasten würdest und ich wollte unsere Hochzeit nicht aufs Spiel setzten. Es gibt nur dich. Ich habe sie in die Wüste geschickt und ich bereue nur, dass sie nun ein so grauenvolles Leben gewählt hat. Ich dachte, mit der Zeit würde sie sich neu verlieben und alles wäre so wie immer. Ich habe nicht gedacht, dass ich ihr so viel bedeute. Das Ganze tut mir so schrecklich leid. Ich habe mich wie ein Idiot verhalten und ihr das Herz gebrochen. Und jetzt sitzt sie allein in- wo ist eigentlich Burkina Faso?“
„Afrika“
„Und jetzt sitzt sie allein in Burkina Faso in Afrika“
„Naja, alleine nicht, sie hat ja ihre Kröten. Ich finde, dass passt ganz ausgezeichnet. Sie ist ja schließlich auch eine Kröte. Eine dicke, dumme, stinkige Kröte und hässlich dazu. Vielleicht findet sie ja da ihren Krötenprinz, wenn sie erst alle einmal durchgeküsst hat und dabei kriegt sie Lippenherpes. Mir wäre das sehr recht. Hauptsache sie spannt mir nicht meinen Kerl aus!“
Er ist erschüttert über diese Aussage seiner Freundin. Diese Seite hat er bisher noch nicht an ihr gekannt. Er schüttelt den Kopf.
„Jedenfalls fehlt mir jetzt die Trauzeugin. Wenn soll ich jetzt nehmen?“, meinte er, um vom Thema abzulenken.
Sie denkt einen Moment nach. Sie kannte wenige Freundinnen, bei der sie nicht Gefahr lief, dass sie ihr den Kerl ausspannen würde. Eigentlich hat sie auf dich immer vertraut.
„Ich habe da noch eine hervorragende Freundin. Sie heißt Jasmin und ist kürzlich erst mir irgend so einem Kerl zusammengekommen, mit langen Haaren und so. Auf jeden Fall stehen bei ihr die Chancen gut, dass sie keine „falsche“ Freundin ist. Du solltest sie nehmen, ein nettes Mädchen.“
Er schweigt einen Moment, dann sagt er langsam: „Ich kenne sie nicht, aber wenn du sagst, dass sie die Richtige für diesen Job ist, dann werde ich sie nehmen. Ich möchte, dass dieser Tag perfekt ist.“
Sie küsst ihn: „Ich ruf sie gleich an. Oh, sie wird sich so freuen!“
Sie verlässt aufgeregt den Raum, ihr Zorn über ihre Freundin scheint beinahe vergessen. Ihre schnellen Stimmungsschwankungen sind gruselig. Er hingegen sitzt noch eine Weile auf seinem Bett und starrt den Brief an. Diesmal hat der Kuss anders geschmeckt und er weiß nicht warum. Er weiß nur, dass plötzlich etwas fehlte.

Du kommst unterdessen in Burkina Faso an und wirst mehr oder weniger freundlich vom Leiter der Hilfsorganisation begrüßt. Er ist nur wenig attraktiv. Angestrengt schleppte er eine dicke, speckige Kugel vor sich herum, die ewig die ohnehin schon zu kurzen T-Shirts nach oben rutschen ließ. Er hatte eine halbe Glatze, dafür umso mehr Bart. Er erinnerte dich an deinen Biolehrer.
Verlieben würdest du dich hier bestimmt nicht. Du warst verdammt einsam und allein an diesem schrecklich kahlen und heißen Ort zu sterben. Vielleicht war das Ganze ein Fehler. Dann denkst doch jedoch an den Ort, denn du früher mal dein Zuhause nanntest und merkst, dass du dorthin nicht mehr zurückkehren kannst. Ob er dich vermisst? Sicher genießt er die Zeit mit seiner Verlobten und hat dich schon längst vergessen.
Niedergeschlagen begleitest du den Leiter zu deiner eigenen Krötenkolonie. Tatsächlich sind diese Geschöpfe noch sehr viel ekelhafter, als du sie dir in deinen schlimmsten Alpträumen vorgestellt hast.
„Niedlich nicht?“, sagt der Leiter, „sie werden dich lieben. Du bist jetzt eine richtige kleine Krötenmami“
Dir würgt es. Du packst die Kiste mit deinen Kröten und begibst dich auf den Weg zum Reservat, in das sie umgesiedelt werden sollten. Umso schneller du da bist, desto schneller bist du sie los.
Irgendwer muss auch ekelhafte, hässliche Kreaturen lieben, denkst du dir wehleidig.

Zuhause laufen die Hochzeitvorbereitungen auf Hochtouren.
Sie hat das Ruder komplett in die Hand genommen organisiert das Essen, die Band, die Kirche und alles was zu einer guten Hochzeit dazu gehört. Er zahlt.
Sie bemerkt, dass er jedoch oft gedankenverloren durch die Straßen zieht oder sich alleine in den Wald begibt. Sie stört das, aber sie will ihm auch nicht von Anfang an vorschreiben, was er zu tun hat, damit will sie bewusst erst nach der Hochzeit beginnen.
Außerdem plagen sie auch weit andere Probleme: Die Trauzeugin ihres Liebsten weigert sich vehement ein Kleid anzuziehen und deren Liebster mit den langen Haaren will nicht auf sein schwarzes T-Shirt mit dem Spruch: „ Zieh dich aus, ich glaub kenn dich“ verzichten. Dies war natürlich für eine Hochzeit absolut unmöglich und für ihre eigene sowieso.
Er hingegen gibt zu allem sein Einverständnis und eigentlich ist ihm egal, ob der Spruch auf dem T-Shirt nun anstößig ist oder nicht, eigentlich findet er ihn sogar ganz lustig. Trotzdem weicht er nicht von ihrer Meinung ab, denn er hofft so seine wachsende Unsicherheit bezüglich der bevorstehenden Hochzeit zu überdecken.
Er weiß, dass er sie heiraten wird, aber er ist sich nicht sicher, ob es wirklich das Richtige für ihn ist. Deine plötzliche Abreise hat ihn zum Nachdenken angeregt.
Er entzieht sich immer öfter den Vorbereitungen und verschwindet.
War das Ganze doch ein Fehler? Hattest du Recht gehabt und er hatte voreilig gehandelt? Liebte er sie genauso sehr, wie er dich geliebt hatte? Er kennt keine Antwort auf diese Fragen und daran verzweifelte er.
Es ist noch eine Woche bis zur Hochzeit.

Du bist mit deiner Krötengruppe fast am Ziel. Mittlerweile quaken sie beinahe perfekt Französisch und du bist zuversichtlich, dass sie sich im Reservat auch ohne dich zu Recht finden. Einstweilen sind sie dir sogar ans Herz gewachsen mit ihrer klebrigen, stinkigen Art.
Du kannst dir nur nicht erklären, wo der Lippenherpes herkommt.
Diese Aufgabe hat dir große Freude bereitet, aber du merkst, dass harte Arbeit die Wunde in deinem Herzen nicht zu füllen vermag. Du wirst ihn nie vergessen und dein Schmerz wird dir immer allgegenwärtig sein.

Es ist der große Tag. Die Hochzeit steht an.
Er war spät aufgestanden, schließlich hatte er jede Menge Zeit.
„Bekommst du langsam kalte Füße?“, fragt seine Trauzeugin und grinst ihn an.
„Sollte ich denn?“
„Ist das denn nicht normal, jeder ist sich doch ein bisschen unsicher, wenn es um die Wurst geht“
„Es geht nicht um die Wurst, ich heirate! Hat sie denn kalte Füße?“
Vielleicht ging es ihr ähnlich, es würde ihn beruhigen. Er versteht sich selbst nicht mehr, er ist sich doch so sicher gewesen, sie zu heiraten. Es ist sich sicher, dass sie seine große Liebe ist. Warum auch nicht? Sie ist intelligent, ausgesprochen gutaussehend, charmant, humorvoll, liebt ihn aufrichtig. Sie ist perfekt! Was ist nur mit ihm passiert? Wahrscheinlich hat er tatsächlich einfach nur kalte Füße. Selbst wenn nicht, es ist zu spät etwas daran zu ändern. Er hat sich entschieden und nun muss er für diese Entscheidung geradestehen. Wahrscheinlich findet er seine Bedenken irgendwann lächerlich. Irgendwann würde er mit seinen drei Kindern auf der Couch sitzen und würde ihnen davon erzählen und allesamt würden sie lachen.
Jasmin grinste laut: „Wird nicht verraten, das stände mir nicht zu!“
„Es wäre aber gut für mich zu wissen, ob sie mich stehen lässt. Dann zieh ich schon mal meine Laufschuhe an, damit ich schneller wegrennen kann, wenn es peinlich wird.“ Jetzt muss er selbst lachen. Es war die richtige Entscheidung und er würde sehr glücklich werden, hätte er dich erst vergessen.

Sie ist ebenfalls sehr aufgeregt. Sein seltsames Verhalten hat ihr Sorgen bereitet. Nun steht sie da, in ihrem pompösen, weißen Kleid mit endloser Schleppe und sieht ganz zauberhaft aus, wie man es von ihr gewohnt ist.
„Du siehst toll aus“, beteuerte ihre Brautjungfer, „wie eine Prinzessin!“
„Ich hoffe, mein Prinz besitzt den Anstand und lässt mich nicht stehen“, sagt sie leise.
„Er wäre ein Idiot, wenn er es täte. Schließlich seid ihr das absolut perfekte Paar. Niemand passt so gut zusammen wie ihr. Ihr seid ganz schnuckelig.“
„Ja da hast du Recht. Wahrscheinlich habe ich nur ein wenig kalte Füße.“

Die Kirche füllt sich. Überall sitzen geschmacklose Hütte und grässliche Kostüme. Jasmin steht als Trauzeugin bereits vorne und schaut unmotiviert, beinahe aggressiv in das Publikum, das verlegen und angsterfüllt in andere Richtungen schaut. Sie hasst das rosa Kleid, das sie tragen muss. Sie mag keine Rüschen und auch keine Perlen. Ihr zuliebe hat sie es angezogen. Aus dem Publikum grinst sie als einziger ihr Liebster an, der sie in dem Kleid ganz herrlich findet. Er selbst hat über sein peinliches Spruchshirt ein Jackett und eine Krawatte gezogen und war so unbemerkt an der Modesecurity, welche die Braut eigens angestellt hat, vorbeigeschlichen.
Als der Bräutigam den Raum betritt steht die Menge auf.
Er ist sich nun sicher und schreitet selbstbewusst den Gang hinauf zum Pfarrer.
Sein Herz pocht. Er tut das Richtige. Der Pfarrer zwinkert ihm zu. Alles scheint so unwirklich. In der dritten Reihe hat jemand einen erbärmlichen Keuchhusten. In der zweiten Reihe von links trug jemand schreckliches Parfüm. Die Brautjungfern sprachen laut über Schuhe. Es war drückend heiß in dem Jackett. Er will seine Fliege lockern, er darf jedoch nicht. Alles muss perfekt sein. Sie war perfekt. Die Hochzeit war perfekt. Er musste auch perfekt sein.
Dann war es auf einmal ruhig.
Langsam öffnet sich die Tür, die Musik beginnt zu spielen.
Sie sieht atemberaubend aus. Durch die Menge schallen laute: „Ahhs“ und „Ohhs“. Ältere Damen fangen, von ihrer Schönheit beeindruckt, an zu weinen.
Er kann sich glücklich schätzen. Tatsächlich sind auf einmal seine Zweifel verfolgen.
Elegant schreitet sie zum Altar.
„Du siehst wunderschön aus!“, flüstert er ihr zu, bevor der Pfarrer mit der Predigt beginnt.
Er glaubt, sie unter ihrem Schleier lächeln zu sehen.
Wie immer in Kirchen dauert die Ansprache des Pfarrers ewig.
„Möchten Sie die hier anwesende Braut zur Frau nehmen. In guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod euch scheide?“, fragt der Vertreter Gottes schließlich und die Hälfte des Publikums fängt an, langsam wieder aufzuwachen.
„Ja ich will!“, sagt er laut und deutlich, damit auch jeder genau weiß, dass er es wirklich ernst meint und damit er sicher gehen kann, dass nun auch tatsächlich alle wieder erwacht sind.
„Und möchten Sie den hier anwesenden Bräutigam zum Manne nehmen. In guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod euch scheide?“
Sie schweigt einen Moment, ihr ist, als hätte sie die Tür gehört, doch als sie sich kurz umdreht, ist niemand zu sehen. Wahrscheinlich jemand, der vorzeitig das Buffet stürmen will. Er schaut sie fragend an. Der Pfarrer nickt ihr ungeduldig zu: „Und möchten Sie den hier anwesenden Bräutigam zum Manne nehmen. In guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod euch scheide?“
„Ja ich will.“, sagt sie schließlich leise.
„So traue ich euch nun zu Mann und Frau! Sie dürfen die Braut jetzt…“
Plötzlich springst du zwischen den Bänken hervor: „Nein! Bitte tu das nicht! Ich bin nach Burkina Faso, weil ich dich vergessen wollte, aber ich konnte es nicht. Du bist meine einzige Liebe. Sie kann dich niemals so glücklich machen wie ich es könnte, weil sie dich niemals so sehr lieben kann wie ich. Niemand kann dich so sehr lieben wie ich. Bitte! Ich habe kein weißes Ross, ich habe keinen scharfen Schlitten, kein Kamel mit dem wir durchbrennen könnten, sondern nur ein wackliges Fahrrad mit dem ich selbst nicht richtig fahren kann. Ich habe kein weißes Kleid, kein Chanel-Kostüm und kein Damenanzug, sondern nur das peinliche T-Shirt mit dem Schwanzvergleich, das ich mir von einem Freund geliehen habe, weil ich keine sauberen Sachen hatte, als ich aus Burkina Faso kam. Du merkst, ich kann dir nichts bieten, ich kann nicht mit ihr mithalten. Ich bin nicht perfekt! Ich habe nur eines für dich und das ist meine bedingungslose Liebe zu dir, die auf ewig anhalten wird. Wenn du dich aber gegen mich entscheidest, so verschwinde ich für immer aus deinem Leben. Und zum Schluss nur noch eins: `I hate to turn up out of the blue uninvited but I couldn't stay away I couldn't fight it. I had hoped you'd see my face and that you'd be reminded that for me it isn't over!
Never mind I'll find someone like you …”
Während du weiter singst und dabei spontan von der Orgel begleitet wirst, ruft sie hysterisch nach der Security. Sie hat keine Ahnung wie du in diesem peinlichen Outfit überhaupt in die Kirche gekommen bist.
Er steht da und schweigt. Einerseits freut er sich, weil er nun weiß, dass er dir doch etwas bedeutet. Anderseits ist das natürlich das absolut schlimmste, was auf einer Hochzeit passieren kann und dein Gesang macht es nicht besser.
Er weiß nicht, was er machen sollte.
Er schaut sie an und nimmt seine Braut bei den Händen. Sie erstarrt: „Du verlässt mich jetzt aber nicht für das hässliche T-Shirt, oder?“
Er sieht dich noch einmal an, wie du dir die Seele aus dem Hals singst, obwohl du denn Text nicht einmal richtig kennst.
Die Menge ist erschüttert und gleichsam amüsiert. So etwas hatte es noch nie gegeben.
„Meine Liebste, ich tue, was du für richtig hältst. Ich habe dich um deine Hand gebeten und dich zur Frau genommen, dieses Versprechen werde ich niemals zurücknehmen, es sei denn, du willst es so!“
Du hast aufgehört zu singen. Du konntest seine diplomatische Ader nie leiden. Damit hattest du nun wohl verloren und dich gänzlich blamiert, sodass du nie wieder unter Leute gehen kannst.
Er ist es wert gewesen, denkst du.
Sie überlegt.
„Der Kuss besiegelt die Ehe“, sagt sie schließlich. Er spitzt seine Lippen und schließt seine Augen. Er ist sich sicher, dass er nun sie zur Frau nehmen würde.
„Insofern hast du dein Versprechen nicht gebrochen. Es ist nicht gültig, bis zu diesem einen letzten Kuss.“
Sie schaut zu dir rüber, küsst ihn auf die Wange und läuft den Gang entlang aus der Kirche hinaus. Er steht noch immer mit geschlossenen Augen da und wartet. Du rennst zum Altar, kletterst darauf, springst ihn schließlich an und küsst ihn. Als er die Augen öffnet hängst du auf ihm.
„Wo ist...?“, fragt er, bevor du ihm den Finger auf den Mund legst.
„Sie hat das Richtige getan. Aber willst du mich denn überhaupt?“, fragst du und schaust zu ihm in die Augen.
„Ich habe dich immer gewollt“, lachte er. Du ziehst dein peinliches T-Shirt aus, wirfst es Thomas zu, der sich nun unglaublich über ein neues, cooles T-Shirt freut und rennst immerhin noch im Top, aus der Kirche. Ihr besteigt das klapprige Fahrrad und radelt zusammen in den Sonnenuntergang.


Da ihr aus Fehlern lernen könnt, beschließt ihr, mit eurer Hochzeit zu warten.
Erst drei Jahre später, als du unverhofft schwanger wirst, macht er dir einen unerwarteten und etwas unromantischen Heiratsantrag im Musikpark A5. Du bist sehr froh darüber, denn es ist dir egal, wie er dich fragt, da du weißt, dass es wahre Liebe ist.
Dieses Mal findet nur eine sehr kleine Hochzeit statt, mit den engsten Vertrauten, zum einen, weil er kleine Feiern bevorzugt, zum anderen, und das war wohl der ausschlaggebende Grund, weil sein ganzes Geld schon für seine letzte Hochzeit ausgegeben worden war. In der Kirche könnt ihr Seine Ex-Verlobte, zu eurem Leidwesen, nicht unter den Gästen erkennen, ihr habt noch immer ein ganz schlechtes Gewissen und habt gehofft, dass ihr euch mit einer Einladung vielleicht irgendwann wieder versöhnen könntet.
Es ist eine ganz hinreißende, kleine Hochzeit. Du trägst ein sehr schlichtes, weißes Kleid, das die kleine Kugel vor dir nicht mehr verdecken kann. Du weißt bereits, dass es ein Mädchen wird, ihr habt den Namen auch schon ausgesucht: Luna. Du kannst es gar nicht erwarten, allen davon zu erzählen, das Publikum scheint deine Schwangerschaft jedoch nicht zu bemerken, zumindest spricht dich keiner darauf an, die meisten denken einfach, du hättest „etwas“ zugenommen und es ist ihnen zu peinlich, noch einmal nachzufragen.
Eure Feier findet im Berkacher Volkshaus statt, da du dorthin Kontakte pflegst, und somit einen besseren Preis aushandeln konntest.
Es wird zünftiges und preiswertes Essen aufgetragen, als Vorspeise eine schöne Suppe und einen Salat. Als Hauptspeise für jeden ein übergroßes Schnitzel mit viel Pommes. Das mag jeder, denkst du dir. Zum Nachtisch bekommt jeder noch eine Kugel Vanilleeis in der Waffel. Gerade rollen die zwei galanten Kellnerinnen mit ihrem kleinen Wagen am Tisch entlang, um jeden Gast eben diese eine kleine Kugel zu überreichen, da flackert plötzlich das Licht, kurz darauf ist es völlig erloschen.
„Müssen wir den Strom extra mieten oder war der im Preis inklusive?“, fragt er und greift nach deiner Hand.
„Bei dem Preis kann man nicht auch noch Licht erwarten“, sagst du und hast damit nicht einmal unrecht, „ich geh und hol ein paar Kerzen“
Doch bevor du aufstehen kannst, rollt eine riesige, mit Wunderkerzen funkelnde, 18 stöckige Torte herein.
„Oh mein Gott Liebster, ist die für mich?“, du freust dich, dass er sich, trotz des knappen Budgets, solch eine Mühe gegeben hat. Er hingegen schaut etwas verwundert. Er kann sich nicht erinnern, eine so große Torte bestellt zu haben, außer an seiner letzten Hochzeit natürlich.
„Sie ist für euch beide“
Ihr erkennt die Stimme sofort.
Die Wunderkerzen erlöschen und das Licht geht wieder an.
Sofort rennt ihr beide auf die Ex-Verlobte und beste Freundin zu.
„Du?! Hier?! Das ist ja ganz wunderbar, wir dachten du kämst nicht, weil du noch ein sauer bist, weil… du weißt schon“, du umarmst sie.
„Weil du mir den Mann am Tag meiner Hochzeit ausgespannt hast?“
„Öhm ja“, nuschelst du etwas verlegen.
„War ich auch erst. Ich war sogar ziemlich sauer, aber dann ist mir recht schnell aufgefallen, dass es das Beste war, was mir passieren konnte!“
Du hältst noch immer ihre Hände.
„Hast du den Kuchen gebacken?“, fragt dein Ehemann.
„Ja, aber nicht allein. Ich hatte ein wenig Hilfe.“
Hinter dem Kuchen erscheint ein junger Mann, der dir irgendwie bekannt vorkommt, aber du kannst ihn nicht richtig zu ordnen.
„Als ich damals aus der Kirche verschwunden bin, weil du mir meinen Kerl ausgespannt hast, bin ich zurück ins Hotel, habe meine Sachen gepackt, mir etwas anders angezogen als dieses grauenhafte Brautkleid, dass mich an den schlimmsten Tag meines Lebens erinnerte und bin einfach in das nächste Auto, beziehungsweise in den nächsten Lastwagen eingestiegen, der an der Straße gehalten hat. Leider bin ich darin auch gleich eingeschlafen, weil ich zuvor aus Angst vor der Hochzeit so viele Beruhigungstabletten genommen hatte. Als ich aufwachte, war ich in einer riesigen Lagerhalle. Erst hatte ich ein wenig Angst, weil ich nicht wusste wo ich war und weil man so viel schlechtes hört von einsamen Lagerhallen und zwielichtigen LKW- Fahrern, aber dann entdeckte ich die ganzen Schuhe und Kleider um mich herum und fühlte mich gleich wie daheim. Der Lastwagenfahrer hatte unterdessen mit seinem Chef gesprochen und ihm meine Situation erklärt. Der Chef bot mir sogleich einen Job im Logistikmanagement an, den ich auch annahm. Eigentlich studierte ich ja, aber ich beschloss, ein halbes Jahr auszusetzen, um den ganzen Stress zu vergessen. Naja und wie das Schicksal es so wollte, kamen wir der Chef und ich uns näher. Jetzt sind wir verlobt“, sie zeigte kurz auf den pompösen Ring an ihrer linken Hand, „und im Sommer heiraten wir, dieses Mal hoffentlich wirklich“ Sie lächelt. Ihr Verlobter nimmt sie in den Arm und nickt: „Dieses Mal definitiv!“, dann streckt er euch beiden die Hand hin und stellte sich vor: „David Schneider. Haupteigentümer von Zalando!“

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